Foto: O.Schulz
Meine Verletzung
Wie ihr wahrscheinlich alle mitbekommen habt, habe ich mir 2014 bei den Deutschen Meisterschaften mein Knie schwer verletzt. Diagnose: Kreuzbandriss, Meniskusriss sowie Innenbandriss und Knorpelschaden - ein großer Schock, da jede Verletzung für einen Sportler der Worstcase bedeutet. Noch dazu kam die Verletzung ca. vier Wochen vor den Weltmeisterschaften und ich war gerade wieder von meiner letzten Verletzung (Innenbandriss) erholt und wollte angreifen. Doch das Schicksal schrieb andere Pläne!
Es war wie ein Schlag in´s Gesicht. Als ob mir jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Die ersten Tage nach der Verletzung wirkten total unreal, wie ein Traum. Ich wollte es einfach nicht glauben. Aber ich wusste: Ich komm wieder zurück!
Jedenfalls war ich im Jahr 2015 wieder fit und konnte sogar auch schon Wettkämpfe turnen. Immer mit dem großen Ziel: Die Olympischen Spiele 2016!
Doch das Glück stand nicht auf meiner Seite. Mein Knie wurde vor den Olympischen Spielen immer schlechter und ich hatte starke Schmerzen, sodass ich die Vorbereitung gezwungenermaßen abbrechen musste. Aus und vorbei war nun der Traum von einer zweiten Teilnahme bei den Olympischen Spielen. All die tägliche und harte Arbeit von bis zu acht Stunden und der Verzicht auf Leben waren komplett umsonst. Plötzlich war alles weg! Und jetzt?
Ich wusste nicht mehr, wer ich war.
Seit ich denken kann, war ich immer in der Turnhalle und fühlte mich dort Zuhause. Es war meine große Leidenschaft. Mein ganzes Leben richtete sich nach dem Sport aus. Ich stand morgens auf und hatte Training und ging abends in mein Bett nach dem Training, immer mit dem Gedanken: TURNEN. Seit ich also vier Jahre alt war, ging es immer um Erfolg und das Streben nach Perfektionismus. Nicht den Erfolg, den andere von mir erwarteten, sondern den Erfolg, den ich selbst von mir erwartet habe. Wer mich kennt, weiß, wie motiviert und ehrgeizig ich bin und auch ein Stück weit verbissen. Wenn ich etwas wollte, dann habe ich immer hart dafür gearbeitet, um mein Ziel zu erreichen, ganz egal was kam! Plötzlich war alles weg. Nach den vielen Höhen und immer mehr Tiefen, aufgrund meiner Verletzungen, war ich nicht nur physisch kaputt, sondern auch psychisch.
Ich erkannte keinen Sinn mehr im Leben!
Warum überhaupt war ich auf der Welt? Das hört sich jetzt vielleicht komplett krass an, aber auf einmal wusste ich nicht mehr, wer ich war und was ich auf dieser Welt wollte. Was war nun meine Aufgabe? Diese Zeit war wirklich enorm schwer für mich. Ich habe mich selbst in all den Jahren durch Erfolg definiert und mir immer wieder Ziele gesetzt, die ich dann auch durch harte Arbeit und viel Schweiß erreicht habe. Nicht immer auf direktem Weg, aber ich wusste immer, wo mein Ziel war und wo ich hin wollte. Im Prinzip ist das ja kein Fehler, sich Ziele zu setzen und diese auch erreichen zu wollen. Aber wer sich selbst nur akzeptiert, wenn er erfolgreich ist, muss wieder lernen, dass das Leben nicht nur aus Erfolg besteht.
Nach dem Entschluss die Vorbereitung für Rio abzubrechen, wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Es verging Tag für Tag und mit jedem weiteren Tag wurde es immer schlimmer. Ich fühlte mich total hilflos, da all die positiven Dinge, die ich durch meinen Sport gelernt hatte und auf die ich auch stolz war, weg waren. Ich hatte keine Motivation mehr, keinen Willen, keine Lebensfreude, keinen Kampfgeist, nichts! Es war alles weg…
Noch dazu hatte ich 2015 mein Abitur gemacht, um mich dann komplett auf Rio vorbereiten zu können. Das heißt, ich hatte außer meinem Training beruflich oder schulisch nichts. Und nun war auch meine Leidenschaft weg. Was sollte ich also den ganzen Tag machen? Morgens nach dem Aufstehen dachte ich mir, hoffentlich ist der Tag so schnell wie möglich vorbei. Und das mit gerade mal 19, 20 Jahren hatte mir wirklich Angst gemacht. Ich wollte weder eine Turnhalle sehen, noch die Außenwelt. Ich wollte niemanden sehen. Mit der Turnhalle habe ich zu viele Erinnerungen an die schönen Zeiten verbunden, mit denen ich nichts mehr zu tun haben wollte. Nicht, weil ich mich nicht gerne daran erinnert habe, sondern weil ich einfach wusste, dass diese Zeiten vorbei waren.
Ich wollte mit dem Turnen komplett nichts mehr zu tun haben. Und genau das machte mir Angst. Ich war immer die, die lieber sonntags in die Turnhalle ging, anstatt Zuhause blieb und plötzlich wollte ich diesen Lebensbereich komplett streichen. Bin das wirklich ich?
Nach einiger Zeit merkte ich, dass es Stück für Stück besser wurde. Auch mit der Hilfe von meinem Freund konnte ich das Leben neu erleben. Trotzdem war es aber alles andere als einfach. Als ich dachte, dass es bergauf ging, kamen wieder neue Rückschläge, die mich auf den Boden der Tatsachen zurückwarfen. Meine Familie, meine Freunde und mein Freund standen zum Glück immer hinter mir und wollten mir in allen Situationen helfen. Allerdings geht das auch nur, wenn man selbst will. Darauf zu warten, dass etwas passiert, ist zwecklos! Wichtig war, dass ich immer wieder weitermachte, auch wenn ich darin keinen Sinn sah. Das Wichtigste war aber, dass jeder kleine Schritt nach vorne, Erfolg bedeutete! Natürlich nicht der Erfolg, den ich mir erträumt hatte, aber es ging zumindest in eine positive Richtung und das zählte. Auch wenn es schwer war diese „kleinen Schritte“, die früher selbstverständlich waren, als Fortschritt zu betrachten.
Ein neues altes ich
Als mein Studium losging, wurde es minimal besser. Ich hatte wieder Aufgaben und konnte mir hier Ziele setzen und diese auch durchsetzen. Auch wenn mich das nie wirklich so erfüllt und zufriedenstellt wie mein Sport. Stück für Stück wurde mir bewusst, dass das Leben noch viel mehr Facetten bietet. Und genau das wendete sich zum Positiven. Nach meiner vierten Operation wollte ich wieder in die Turnhalle. Ich merkte, wie ich Stück für Stück die „neue alte Janine“ wurde. Nicht turnerisch gesehen, sondern mental. Mein Ehrgeiz, meine Lebensfreude, mein Wille, alles kam wieder nach und nach. Ich wollte turnen, nicht um Erfolge zu feiern, sondern weil es meine Leidenschaft ist. Ich wusste, wenn ich ins Training gehe, dass ich Spaß haben will und das Turnen zu meinem Leben gehört, aber nicht nur mein Leben ist. Und als ich das gelernt habe, wurde ich wieder glücklich und kann mit Stolz sagen, wer ich bin und warum ich lebe. Zusätzlich habe ich wieder meine große Leidenschaft, das Turnen, gefunden. Das hätte ich mir damals nie im Traum vorgestellt und ist mit keiner Medaille der Welt zu bezahlen.
Was ist der Sinn des Lebens?
Ich glaube diese Frage ist schwer zu beantworten. Für jeden von uns ist der Sinn des Lebens individuell zu sehen. Jedoch bin ich mir sicher, dass jeder den Sinn des Lebens finden muss. Denn nur wer sich selbst akzeptiert und wertschätzt, ist glücklich und zufrieden. Und wer glücklich im Leben ist, weiß warum er lebt.
Also, was ist Dein Sinn des Lebens?
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